Montag | 14.06.2021 | 19:00 Uhr
Prof. Dr. Christoph Schulte

War Moses Mendelssohn ein deutscher Jude?

Universität Potsdam
Deutsch-Israelische-Gesellschaft

Prof. Dr. Christoph Schulte, geb. 1958. Studium der Philosophie, Judaistik, Theologie und Publizistik in Heidelberg, Berlin und Jerusalem. Promotion FU Berlin 1987, Habilitation Univ. Potsdam 1996, seit 2001 apl. Prof. für Philosophie und Jüdische Studien an der Universität Potsdam. Fellow und Gastprofessor in Jerusalem, Montreal, Paris, Chicago, Aix-en-Provence, Philadelphia, Zürich, Haifa, Basel, Hamburg. Zahlreiche Buchpublikationen und Editionen im Bereich der modernen europäischen Philosophiegeschichte, der deutschen und jüdischen Aufklärung, der Romantik, der Kabbala sowie der jüdischen Religions- und Kulturgeschichte seit der Frühen Neuzeit. Seit Band 14 (2005) Mitherausgeber der Mendelssohn-Studien. Zuletzt: Von Moses bis Moses….Der jüdische Mendelssohn, Hannover 2020.

Moses Mendelssohn bekannte 1756 in einem öffentlichen Sendschreiben, dass er in einem Vaterlande geboren zu sein wünsche, wo er Socrates zum Muster und Lessing zum Freunde haben könnte. Er war jedoch in Dessau geboren, und er genoss in Berlin und Preußen bis an sein Lebensende keine Bürgerrechte, obwohl er der prominenteste Jude Europas war. An Lavater schrieb Mendelssohn 1770 aus Berlin, dass er „Mitglied eines unterdrückten Volks“ sei, und deshalb öffentliche Religionsstreitigkeiten meiden müsse. Gemeint war hier das unterdrückte jüdische Volk, dessen Mitglieder damals in keinem europäischen Staat bürgerlich gleichberechtigt waren. Mendelssohn identifizierte sich also primär als Jude. Intellektuell war er ein aufgeklärter Weltbürger. Aber Bürger eines Staates war er nie.

Erst die Nachwelt erklärte Mendelssohn im 19. Jahrhundert zum deutschen Juden und zum Begründer des deutschen Judentums. In welchem Sinn war dies berechtigt? Und können wir das heute noch nachvollziehen?